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Radtour: Ockerbrüche und Schluchten

Manchmal kommt alles anders, als man denkt. Je höher man kommt, desto dünner wird die Luft. Weiß man ja. Für die Temperatur sollte indes gelten: je höher man steigt, desto kühler wird es. Meine Temperatur-Anzeige am Tacho kann dieser Schlussfolgerung nichts abgewinnen. Je länger die Straße entlang der Gorges de la Nesque in der Provence ansteigt. Umso heißer wird es: 38 Grad, 40 Grad, 42 Grad, 44 Grad. Vermutlich können wir froh sein, dass es nur auf 740 Meter hinaufgeht.

Wir, das sind meine Mutter und ich. Sie wird auf dieser Reise ihren 74. Geburtstag feiern. Und die Reise, vielmehr die Planung derselben, ist mein Geschenk gewesen. Eines allerdings, welches ich an die eine Bedingung geknüpft hatte: Meine Mutter sollte ein E-Bike nehmen, sonst würde das mit uns und der Provence nichts werden.

Diese hatte ich immer mit blühenden Lavendelfeldern verbunden, mit kleinen Straßen, die durch eine liebliche Landschaft führen. Schon am ersten Tag werde ich, besser: wir wenige Kilometer nach unserem Aufbruch in Carpentras eines Besseren belehrt. Die Straße entlang der Gorges de la Nesque führt keineswegs durch eine liebliche Landschaft, sondern vielmehr durch einen bergigen und schroffen Landstrich ziemlich lange bergauf. Es wird nie richtig steil, aber die Strecke zieht sich, oft sind es aber auch die Aussichten, die uns den Atem rauben. Kurz vor dem Aussichtspunkt höre ich, wie eine Frau am Straßenrand mit Blick auf uns zu ihrem Mann sagt „Das ist aber eine Leistung.“ Finde ich auch, aber ich fürchte, das Lob gebührt meiner Mutter, deren Rad, wie ich gestehen muss, beim ersten Hinsehen nicht wie ein E-Bike ausschaut sondern eher dem Modell Stadt-Klapprad gleicht.

Wanderung durch die Ockerbrüche

Vom Aussichtspunkt geht es bis Sault dafür in einer langen Abfahrt wieder hinunter. Der Ort selbst liegt auf einem Felsvorsprung. Sieht hübsch aus, heißt aber, dass es den letzten Kilometer ins Zentrum noch einmal in die Vollen geht. Eigentlich wollen wir das nicht, aber der Hunger treibt uns die Straße hoch. Gut so, denn wir werden später feststellen, dass es bis Saint-Saturnin-les-Apt an Einkehrmöglichkeiten mangelt.

Am nächsten Tag bekommen wird ein weiteres Gesicht der Provence zu sehen. Die Ockerbrüche von Roussillon und Colorado de Rustrel. Roussillon ist ein hübsch anzusehender Ort und die Landschaft beeindruckend. Leider handelt es sich nicht um einen Geheimtipp und es sind doch ziemlich viele Menschen unterwegs. In Colorado de Rustrel geht es ruhiger zu, die Gegend ist wilder und ursprünglicher. Mehr ein Abenteuerspielplatz. Ein Vater mit Kleinkind auf den Schultern wagt sich auf einen Felsvorsprung und riskiert damit den Familienfrieden. Die Mutter findet den Ausflug gar nicht komisch. Man muss kein Französisch sprechen, der Ärger über die Aktion lässt sich auch so heraushören.

Drei Tage später brechen wir von les Salles-s-Verdon in Richtung Grand Canyon du Verdon auf, nachdem zuvor von Lourmarin bis Manosque, wo wir nach dem Abendessen in der Altstadt eine halbe Stunde unterwegs waren, um den Ausgang zu finden, an der Südseite des Luberon entlanggeradelt waren und anschließend den Lac de Ste Croix südlich umrundet hatten. Dieser halbe Tag am See war ein ziemlich gemeiner gewesen, weil mein Tacho mitunter 40 Grad anzeigte, Badestellen bis les Salles-s-Verdon gar nicht vorhanden waren. Der kleine Ort wiederum wirkte unglaublich einladend und gepflegt. Noch besser: Man gelangte vom Marktplatz auf einer steilen Treppe hinunter an den Strand und es wäre ein wirklich wunderbares Vergnügen Badevergnügen geworden, wären meine Füße auf dem steinigen Strand und im Wasser nicht einer Folter unterzogen worden.

Rund um den Canyon du Verdon

Die D19 wiederum führt uns nicht nur weg vom Strand und See, sie führt auch bergauf. Und das lang und stetig. Gut sieben Kilometer, rund 280 Höhenmeter. Es ist der Moment, in dem ich meine Mutter auf ihrem E-Bike von der Leine lasse. „Fahr los, ich mag es nicht, wenn du mir im Nacken sitzt. Wir sehen uns in Aiguines“, rufe ich ihr zu. Wenige Sekunden danach rauscht sie an mir vorbei. Das ist das Gute an einem E-Bike: der Akku lässt sich ja bequem aufladen unterwegs – wenn man denn an eine Steckdose kommt wie in einem kleinen Cafe in Aiguines. 20 Minuten Pause, danach wiederholt sich das Spiel quasi. Die Straße führt weiter – und oft kräftig –  an der südlichen Seite der Schlucht bis zum Cirque de Vaumale auf rund 1200 Meter hinauf. Hin und wieder gewinnt die D19 in Serpentinen an Höhe. Das macht das Fahren zwar nicht kürzer, aber einfacher. Hier und da gibt es Aussichtspunkte und es ist trotz der Anstrengung ein wunderbares Radeln, auch weil erstaunlich wenig Autos unterwegs sind.

Am Cirque-de-Vaumale-Aussichtsspunkt treffen wir auf einen älteren Herren, der ebenfalls auf einem E-Bike unterwegs ist und sich auf dem Rückweg befindet. Zwischen ihm und meiner Mutter entwickelt sich gleich das mittlerweile typische Fachsimpeln über Elektro-Räder, Wattleistungen, Eco, Tour, Turbo und Sport-Stufe, an dem ich nicht so recht teilhaben kann. Mich interessiert vielmehr die Landschaft. Der Mann erzählt daraufhin, dass er umgedreht sei. „Die Straße verschwindet ja jetzt erst einmal ins Landesinnere. Da sieht man nicht so viel.“ Später in Balcons de la Mescla, einem der vielen Stopps unterwegs, sage ich zu meiner Mutter: „Der Mann hat einfach zu früh aufgegeben.“ Vielleicht aber war sein Akku auch einfach nur leer.

Tatsächlich sind wir nicht so richtig vorangekommen, was weniger an dem Auf und Ab liegt, sondern vielmehr an den Postkartenansichten unterwewgs. Deshalb biegen wir auch auf die D90 hinab nach Trigance, einem hübschen kleinen verschlafenen Dorf, und sparen uns den Schlenker über Combs-s-Artuby, überqueren am frühen Nachmittag die Brücke Pont de Soleils und nehmen die letzten 13 Kilometer nach la Palud-s-Verdon in Angriff. Anfangs folgt die Straße dem Verdon und steigt langsam an der Felswand hinauf. Wir sind so gefangen von der Landschaft, dass wir den Abzweig zum Strand am Point Sublime übersehen, was uns erst später am Aussichtspunkt klar wird.

Die Route des Cretes

Schließlich erreichen wird la Palud-s-Verdon. Müde, von der Sonne verbrannt, hungrig. Die Entscheidung, wo wir zu Abend essen, ist schnell gefallen. Das Restaurant ist einfach, die Gerichte auch, es wird zum Beispiel Hähnchen mit Pommes angeboten. Kaum, dass wir sitzen, serviert eine junge Kellnerin am Nachbartisch mehrere Essen. „Das möchten wir auch“, winkt meine Mutter die Kellnerin zu sich. Es wird ein ziemliches lustiges Essen, zumal meine Mutter tatsächlich auf Hähnchen tippt, wobei ich weder Flügel noch Schenkel entdecken kann, es dann für Schweinefleisch hält und dank ihres elektronischen Übersetzers schließlich feststellt, dass wir gerade ein Kaninchen verspeisen.

In la Palud-s-Verdon bleiben wir zwei Nächte, weil wir eine kleine Tagestour unternehmen: die Route des Cretes. Die Runde ist rund 23 Kilometer lang und ein Muss bei einem Besuch des Grand Canyon du Verdon. Allerdings gibt es für Radfahrer ein Problem: Egal, ob man nun im Uhrzeiger- oder Gegenuhrzeigersinn fährt, es gibt auf beiden Seiten Steigungen, die bis zu elf Prozent aufweisen. Klarer Vorteil für meine Mutter also, für die der Tag allerdings erst einmal mit einem Schrecken beginnt. Ihr Akku zeigt nicht einmal die Hälfte der möglichen Leistung an, obwohl sie ihn in der Nacht aufgeladen hat. So verzögert sich die Abfahrt um eine Stunde, doch auch nach einem erneuten Aufladen hat sich nichts getan. Wir fahren trotzdem los, und am ersten Aussichtspunkt kommt ausgerechnet von einer Handvoll Motorradfahrer aus Deutschland Hilfe. Einer von ihnen drückt den Resetknopf auf dem Anzeigegerät ein paar Sekunden länger als üblich – und schon ist wieder alles im Lot in der Elektrorad-Welt meiner Mutter.

Ich verfüge leider über keinen Resetknopf und muss zugeben: Hier und heute, das ist nicht mein Vormittag. Wir fahren im Uhrzeigersinn, weshalb mich am Anfang auch die Landschaft nicht ablenkt von den müden Beinen. Hübsch ist es, aber man sieht vom Cabyon erst einmal nichts. Tatsächlich halte ich die Lobeshymnen auf die Route des Cretes gerade für reichlich übertrieben. Doch das ändert sich nach ein paar Kilometern. Serpentinen, enge Kurven, mitunter keine Seitenbegrenzung. So was lässt sich gut unter Nervenkitzel verbuchen. Gegenüber sehen wir am Canyonrand die Straße, die wir tags zuvor gefahren fahren. Der Blick aus der Vogelperspektive, er macht uns beide stolz auf das, was wir da geleistet haben – auch wenn ein kleiner Elektromotor nachgeholfen hat.

Als wir la Palud-s-Verdon nach zwei Tagen wieder verlassen, verabschiedet sich auch der blaue Himmel über dem Grand Canyon du Verdon. Die Straße führt erst einmal ein paar Kilometer bergauf, um dann in eine lange und kurvenreiche Abfahrt bis kurz vor Moustiers-Ste Marie überzugehen. Die Ortschaft ist eine Ansammlung von Restaurants und Geschäften, strahlt aber dennoch eine Heimeligkeit aus, so dass aus einer Pause durchaus ein mehrstündiger Aufenthalt werden könnte. Wir aber müssen weiter, passieren auf unserem Weg Riez und Allemagne-en-Provence, wo wir allerdings niemanden finden, der uns über die Geschichte des Ortsnamens aufklären kann.  Was allerdings auch nicht einfach ist, weil selbst Historiker schwanken zwischen den Annahmen, es handele sich um eine Ableitung des Namens Alemona, gallische Göttin der Fruchtbarkeit, oder um eine ehemalige Kolonie der Alemannen.

Endstation unserer Tour ist schließlich Greoux-les-Bains, zurück im prallen Leben. Der Ort ist bekannt für seine heißen Thermalquellen. Daher hatte ich dort eine Übernachtung geplant. Leider erfahren wir auf dem Weg dorthin, dass der Besuch der Thermalquellen den Kurgästen vorbehalten ist. Andererseits hat uns auf den letzten Kilometern die Sonne wiedergefunden, auf meinem Tacho blinken 35 Grad auf. Als wir schließlich unser Hotel gefunden haben, gibt es eine gute Nachricht: Unsere Unterkunft verfügt wenigstens über einen kleinen Pool.

Radtour: Herbstfarbenrausch

Das Timing könnte kaum schlechter sein. Über Nacht ist aus den Tropfen ein Dauerregen geworden. Die White Mountains sind unter einer Wolkendecke begraben, und wenn der Mount Washington, mit seinen 1917 Metern der höchste Berg in New Hampshire wie auch den Neuengland-Staaten, irgendwo dort draußen sein soll, dann muss man das halt einfach glauben. Zu sehen ist wenig bis gar nichts. Jedenfalls nicht von diesem oder anderen Bergen. Aber die Natur spielt nach ihren eigenen Regeln. Rücksicht nehmen auf Touristen, die denken: Indian Summer, das klingt doch nach einer launigen Tour, pardon Radtour? Vergiss es. Immerhin: Das Laub ist bunt und bringt Farbe ins Grau.

Es hätte freilich auch noch schlimmer kommen können. Wie zehn Tage zuvor, als der Pilot während des Anflugs auf Boston etwas von schlechtem Wetter tagsüber erzählte, das nun aber besser geworden sei. Was heißen sollte, dass es aufgehört hatte zu regnen. Und dann, im Bus, als der Fahrer ankündigte, die Fahrt nach Portland, Maine, würde rund zwei Stunden dauern, er könne das aber wegen möglicher Überflutungen nicht garantieren, träumte ich lieber von Herbstlaubfarben. Indian Summer von seiner besten Seite, das wollte ich haben. Nicht von seiner feuchten und ungemütlichen.

Tag eins nach dem Weltuntergang

Was also am Tag meiner Anreise passiert war, das sollte ich erst am nächsten Vormittag vergegenwärtigen. Eine Mitarbeiterin in einem Outdoor Shop in Portland zeigte mir ein Foto, aufgenommen quasi vor der Eingangstür. Kurz gesagt: Die Straße stand komplett unter Wasser, Autos waren zur Hälfte untergetaucht. Und so soll es an weiten Teilen der Küste von Maine ausgesehen haben. Radfahren gegen den Strom? Oder im Strom? Es wäre wohl ein kurzer Trip geworden. Womöglich hätte mein Fahrrad schon nach wenigen Meilen seinen Dienst quittiert. Und zwar für immer.

Gut, Überraschungen gehören zu einer Reise dazu. Die guten und die schlechten. Portland zum Beispiel. Da stehe ich doch plötzlich vor einem Zaun voller Liebesschlösser. Der Trend ist offensichtlich auch hier angekommen. Aber dass ein paar Meter entfernt ein Stück der ehemaligen Berliner Mauer steht, empfinde ich dann doch als ebenso kurios wie Must-do-Foto. Ist aber, wie ich später herausfinde, keine Seltenheit, dass irgendwo in der Welt Mauerreste zu finden sind.

Auf den Cadillac Mountain

Am vierten Tag meiner Tour erreiche in den Acadia National Park. Es ist zugleich der 4. Oktober – und so richtig bunt ist es auf der Strecke nur hier und dort gewesen. Umso prächtiger sind die Sonnenuntergänge, die ich vom KOA Campingplatz direkt hinter dem Parkeingang aus betrachten kann. Ich radele den Cadillac Mountain hinauf, stelle fest, dass die Aussicht wirklich schön ist, folge der Parkroute, die, wie ich finde, ein Paradies fürs Rennradfahren ist, um dann am sechsten Tag auf dem Weg aus Ellsworth hinaus zu leiden: Der Seitenstreifen ist miserabel. Freundlich ausgedrückt. Überhaupt soll es eine weniger schöne Etappe werden, die nach 130 Kilometern endet, in der Dunkelheit – und in einem Motel an der Strecke nach Newport. Erst habe ich den Stetson Campground nicht gefunden, dann musste ich feststellen, dass er bereits seit  zwei Wochen geschlossen hat. Hätte ich meiner Broschüre entnehmen können, dass hier Ende September Schluss ist. Oder auf der Internetseite. Habe ich aber nicht.

Dann ist da noch die Sache mit den Hunden tags darauf. Solange sie nur bellen und angeleint sind, ist alles gut. Nicht gut ist, wenn es sich um einen Kampfhund handelt, der nicht angeleint ist und den Highway auch nicht als Grenze zwischen ihm und mir ansieht. Warum er nach einem kurzen Sprint die Lust verliert, ist mir egal. Hauptsache, ich kann meine Flucht abbrechen.

Windgepeitschter Mount Washington

Nach einer Woche überquere ich die Grenze von Maine zu New Hampshire. Wie schön, der Himmel ist blau, Sonne satt. Das Wetter hält aber nicht, es kommt zur Regenschlacht rund um den Mount Washington. Im Café  des Visitor Center klammere ich mich an eine heiße Tasse Kaffee, genieße das Gefühl neuer und vor allem trockener Socken an den Füßen und starre Richtung Berg. Oder vielmehr: Dorthin, wo der Berg vermutlich steht, mit 1917 Metern die Nummer eins im Nordosten. Ich hätte natürlich auch mit einem Shuttlebus auf den Gipfel fahren können. Die  Aussicht soll toll sein, wenn es denn was zu sehen gibt. Aber eigentlich ist der Mount Washington berühmt für die Stürme, die dort oben manchmal toben.  Im Jahr 1934  wurden als höchste mittlere Windgeschwindigkeit (10-Minuten-Mittel) 372 km/h gemessen. Die stärkste Böe pfiff mit 416 km/h über die Bergspitze. Während eines Tornados im Jahr 1999 zeigte ein Messgerät sogar 512 km/h an, allerdings spielte sich das Drama in Oklahoma City ab.

Wetterwechsel: Am nächsten Tag kämpft sich die Sonne durch – und ich mich den Kancamagus Highway entlang – und hinauf. Es ist das Columbus Day Weekend. Danach ist die Saison für die US-Amerikaner und die Kanadier vorbei. Also sind sie noch einmal in Massen unterwegs. Autos, Autos und noch einmal Autos. Ich halte an einer Covered Bridge, den Lower River Falls, der Rocky Gorge. Die Etappe ist mit 62 Kilometern recht kurz, aber auch kurze Etappen können lang werden, wenn es viel zu sehen gibt und man ständig hält. Und es gibt viel zu sehen. Gilt nicht nur für die Landschaft übrigens. Auf der gesamten Strecke seit Maine ist fast jeder Vorgarten dekoriert. Halloween lässt grüßen. Sieht alles ziemlich schräg aus, was da so an Kulisse zu sehen ist. Kürbisse, Hexen, Gespenster. Einmal sitzt sogar ein Skelett auf einem Trecker. Haha. In der Rocky Gorge ist es allerdings der Wasserfall, dem ich eine halbe Stunde Zeit opfere.

Unterwegs am Columbus Day Weekend

Als ich später im Visitor Center von Lincoln nach dem Hostel in dem Ort frage, ist die Dame am Tresen so freundlich, in der Unterkunft anzurufen, um nach einem freien Bett zu fragen. Leider kann sie sich dabei ein Grinsen nicht verkneifen, als sie in den Hörer spricht: „Hier ist jemand, der offenbar nicht weiß, was bei uns am Columbus Weekend los ist.“ Weiß ich doch, gefühlt habe ich nämlich kurz zuvor binnen zehn Minuten 200 Autos überholt, die alle auf der Hauptstraße im Stau standen. Natürlich gibt es kein freies Bett in dem Hostel, aber sie nennt mir einen Campingplatz in North Woodstock. Der  Ort ist lediglich eine Meile entfernt. Klasse, ich muss auch nur 10 US-Dollar bezahlen für eine Nacht. So billig bin ich noch nicht unterkommen – und werde es auch nicht mehr auf dieser Reise. Und es wird auch das einzige Mal auf der ganzen Tour sein, dass ich höre: „Nehmen Sie kein Essen mit ins Zelt. Wir haben hier ab und an Bären.“ Aber gut, so oft habe ich dann auch nicht gezeltet.

  1. Tag: Ich bin in den Adirondacks angekommen. Im Keene Valley brennt die Natur ein Feuerwerk an Farben ab. Anhalten, gucken, wieder anhalten, noch länger gucken. Indian Summer von seiner besten Seite. Allerdings wird das Wetter auf dem Weg hinauf nach Lake Placid deutlich schlechter. In dem Ort, der 1932 und 1980 Ausrichter der Olympischen Winterspiele war, höre ich, dass es in drei Tagen den ersten Schneefall geben soll. Die Lust aufs Radeln geht so schnell flöten wie Luft aus dem Loch eines Reifens entweicht. In der Tourist Information frage ich nach einem Bus. Die Frau zieht ihre Brauen hoch. Antwort: „Gibt es nicht. Wir sind hier in den Bergen.“ Am nächsten Morgen drehe ich, obwohl der Himmel knallblau ist, um und spare mir eine Rundtour über Indian Lake. Stattdessen fahre ich über Elizabethtown und Westport und dann entlang am Lake Champlain bis nach Ticonderoga – und von dort am letzten Tag Richtung Lake George.

Wetterumschwung in den Adirondacks

Schöner wird es auf der Schlussetappe nicht. Schmale Straße, wenig Sightseeing. Lake George aber hat – abgesehen von wenigstens drei Minigolfanlagen – wenigstens eine Besonderheit zu bieten, deren Ursache womöglich ist, dass nicht wenige Einwohner in Lake George englische Vorfahren haben. Und da die Briten schließlich bekannt sind für ihren schwarzen Humor, befindet sich auf einem ehemaligen Schlachtfeld ein Campingplatz, in diesem Fall der Battleground State Campground in Nähe des am südlichen Ende des Sees gelegen Fort William Henry. Zyniker würden vermutlich Freunden schreiben: „Auf diesem Campingplatz herrscht Grabesstille“. Oder auch: „Hier kann total gut entspannen, denn es ist totenstill“. Wunschdenken freilich, denn die Hauptstraße verläuft gleich nebenan. Ist aber auch egal, denn der Platz hat geschlossen. Nachsaison halt, weshalb sogar das McDonald-Restaurant im Stadtzentrum dicht ist.

Die Kämpfe auf besagtem Schlachtfeld haben sich vor über 200 Jahren abgespielt. Zwischen 1755 und 1757 bekämpften sich die Briten auf der einen und die Franzosen, Kanadier wie Indianer auf der anderen Seite, und die größte Auseinandersetzung fand 8. September 1755 statt. Am Ende des Tages hatten die Briten die Oberhand behalten, obwohl es anfangs ziemlich schlecht um sie stand. Wäre die Geschichte anders ausgegangen, der Campingplatz würde jetzt womöglich Terrain de Camping Roi Louis heißen. Frei übersetzt nach Google. Oder gar nicht existieren, weil die Franzosen lieber einen ehrwürdigen Park samt Gedenkstein angelegt hätten.

Aber nun findet sich hier eben der Battleground State Campground – so etwas wie eine Oase der Ruhe. Wenn man so will. Lake George selbst ist Ausgangsort für Touren in die Adirondack Mountains oder auf dem Lake George selbst.  Ausflugsboote, Hotels, Motels, Restaurants, Souvenirgeschäfte, Cafés, das historische Fort William Henry, ein Wachsfigurenkabinett und ein großes Wasserrutschen-Bad finden sich hier. Der American Way of Life in Sachen Urlaub halt.

Meinen beende ich nach 16 Tagen auf dem Rad, 1400 Kilometern und rund 14.500 Höhenmetern mit einem zweitägigen Aufenthalt in einem Motel. Tatsächlich haben einige Unterkünfte doch noch geöffnet. Danach geht es per Bus zurück nach Boston. Statt buntem Laub noch ein bisschen buntes Stadtleben genießen.

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Radtour: Isle of Skye

Es gibt etwas in Schottland, worüber man eigentlich nicht viele Worte verlieren muss, nämlich das Wetter: wechselhaft bis regnerisch. Zum Beispiel im September. Sonnentage sind selten, darauf haben Freunde und Bekannte hingewiesen, darum bedarf es heute einer Notiz in meinem Tagebuch: Der Himmel macht blau, so richtig fett blau. Jedenfalls über der Isle of Skye, die ich jetzt einfach einmal in Isle of Blue Sky umtaufe. Es ist schließlich nicht der erste Tag, an dem ich mich frage, ob ich nicht doch hätte Sonnencreme mitnehmen sollen. Und es wird auf dieser Tour nicht der letzte sein. Tatsächlich werde ich nach insgesamt drei Wochen Radrundreise in Schottland behaupten können, dass ich mein Zelt nicht einmal im Regen aufgebaut oder abgebaut habe. Und ich habe oft gezeltet.

Gut, dass die Klamotten und der Schlafsack wie auch die Isomatte trotzdem jeden Tag feucht sind vom nächtlichen Tau, das lässt sich nicht vermeiden. Dass ich andererseits mit viel Kraftaufwand regelmäßig Regenjacke, Jacke und lange Hose – weil nicht benötigt – in die Packtaschen stopfen muss, war so nicht geplant. Aber kann man vorher ja nicht wissen.

Ich gebe aber auch zu: Die Isle of Skye ist bestimmt nicht überall ein Radfahrerparadies. Aber sie ist so schön, hat so viel an landschaftlichen Highlights zu bieten, dass es dennoch ein Genuss ist, hier mit dem Rad unterwegs zu sein. Auch wenn so mancher Anstieg fürchterlich in die Beine geht, der Wind nicht immer Freund und Helfer ist, sondern vielmehr ein fieser Gegner – ich halte am Straßenrand, wenn mir die Aussicht gefällt. Das Problem ist nur: Ich könnte auf der Küstenstraße A 855 von der malerischen Hafenstadt Portree bis nach Uig an diesem Tag unter diesem tiefblauen Himmel so oft anhalten, dass es sich schon nicht mehr nach Radfahren anfühlen würde.

Da ist dieser Wasserfall, offenbar namenlos und leicht zu übersehen, wenn man mit dem Auto unterwegs ist. Schließlich erhebt sich keine zwei Kilometer weiter der Old Man of Storr gen Himmel. Die Steinnadel zieht die Blicke auf sich, wer schaut da schon nach links und fragt sich, warum es da einen kleinen Parkplatz gibt. Als Radfahrer bin ich nicht schnell genug, als dass mir die wenigen Menschen nicht auffallen würden, die da auf dem kleinen Wanderweg unterwegs sind.

Eine halbe Stunde später bin auch dann auch auf dem Weg zum Old Man of Storr. Und ich kann sagen: Die Wanderung, die insgesamt zwei Stunden dauern soll, hat es in sich. Die Aussicht indes ist jeden Schritt und jeden Schweißtropfen wert. Auf einem Trampelpfad Richtung Norden geht es noch Stück höher hinaus, so dass man über den Old Man of Storr hinaus einen Blick auf die Isle of Skye hat. Und wer Zeit hat, sollte sich hier am späten Nachmittag einfinden, wenn die Sonne sich gen Westen bewegt und die Landschaft in warmes und sanftes Licht taucht.

Zu diesem Zeitpunkt bin ich schon auf dem Weg nach Uig, nicht ohne den einen oder anderen Stopp. Es ist nicht immer ein ausgewiesener Aussichtspunkt oder eine Ruine, die mich zum Halten veranlasst. Manchmal ist es einfach nur das Panorama: das Meer, das Land, das Licht. Oder alles zusammen.

So was sollte man genießen, denn mit dem Licht – sprich: Sonnenlicht – kann es auch schnell vorbei sein. Tags darauf duckt sich die Quiraing-Region jedenfalls unter einer dicken und grauen Wolkendecke. Und doch verleiht der düstere Himmel dieser Felsbastion in ihren satten Grüntönen eine Dramatik, die schwer in Worte zu fassen ist.

Drei Tage später setze ich mit der Fähre von Armadale nach Mallaig über. Ich habe mich länger auf der Isle of Skye aufgehalten, als ich vorgehabt hatte. Statt von Uig gleich südwärts über Broadford nach Armadale zu fahren, habe ich noch den Westen der Insel erkundet, mir das Dunvegan Castle angesehen, in der ältesten Bäckerei der Insel einen Kaffee getrunken, bin zu den Fairy Pools gewandert und am Rande der Cuillin Hills entlang geradelt. Unterwegs habe ich eine andere Radfahrerin getroffen. Sie hatte es eilig, wollte Freunde in Kyle of Lochalsh besuchen. Das liegt nicht mehr auf der Insel, von der sie offenbar wenig gesehen hat. Die Isle of Skye aber ist kein Ort zum Rasen. Sie ist ein Ort zum Reisen.

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